back to WRITINGS

Die Architekturbiennale gehört uns Architekten
Patrik Schumacher, London 2014
Published in: ARCHITHESE – International Review for Architecture, #5, „Fundamental Palace“, 2014, Special issue about the 14th Venice Architecture Biennale, 2014

Die Architekturbiennale in Venedig ist und bleibt das wichtigste Forum für den globalen Architekturdiskurs. Das entscheidende an diesem Forum ist, daß es uns Architekten aus aller Welt an einem Ort versammelt und uns die Chance gibt eine umfassende Übersicht zu erlangen über das was weltweit in der Architektur gedacht, gezeichnet, geplant und gebaut wird. Diese Chance wird in den letzten Biennalen von überambitionierten Kuratoren zusehens verspielt. Kuratoren reklamieren Agenda und Austellungsraum für ihre quasi-politischen Parolen und “künstlerischen” Auseinandersetzungen mit politischen, sozial-kritischen Themen. Die Arbeit von Architekten ist dabei weitgehend ausgeblendet, als ob das zeigen von neuer Architektur den Kuratoren zu langweilig und nicht wichtig genug ist. Meine Bitte an die Kuratoren: Sucht Euch doch bitte eine andere Gelegenheit und Euer eigenes Publikum für Eure inspirierten, weltbewegenden Botschaften.
Das entscheidende Publikum der Architekturbiennale ist meiner Auffassung nach zu allererst die globale Architektenschaft selbst, inklusive Kritiker, Theoretiker, Architekturlehrer und Studenten, und die architekturinteressierte, allgemeine Öffentlichkeit erst in zweiter Linie. Die entscheidende Bedingung für den Erfolg der Biennale im Sinne der Architekten ist, daß die jeweils neuesten Arbeiten der besten und innovativsten Architekten ausgestellt und debattiert werden. Diese Zusammenschau und das Zusammentreffen mit Kollegen aus aller Welt ist (aus meiner  Erfahrung mit den letzten zehn Architekturbiennalen) die entscheidende, einmalige Attraktion von Venedig. Je mehr Architekten ausstellen, desto mehr Architekten kommen nach Venedig zur Austellungseröffnung. Deshalb sollte nicht nur Gegenwartsarchitektur der zentrale Gegenstand bleiben, sondern es sollten möglichst alle gegenwärtigen Richtungen der Architektur eingeladen und vertreten sein, ohne thematische Einengung. Rem Koolhaas hat wohl die Funktion der Biennale ganz bewußt auf den Kopf stellen wollen, wenn er proklammierte, daß er die Biennale nur unter der Bedingung machen wolle, daß er alle Verbindung mit der Gegenwartsarchitektur abschneiden könne. (“Only if can sever all connections with contemporary architecture.”)

Abgesehen von Rem’s Biennale, wo also explizit gar keine Gegenwartsarchitektur gezeigt werden sollte, war auch schon 2012 fast keine Architektur ausgestellt. Die meisten Pavillions hatten thematisch-künstlerische Installationen, d.h. sie waren zumeist mehr oder weniger leer und die ganze Austellungsfläche war für eine “beeindruckende”, symbolische Illustration der Idee des Kurators hergegeben. Von den Architekten und aktuellen Projekten des jeweiligen Landes war nichts zu sehen. Die einzigen Ausnahmen waren Griechenland und Thailand, die gezeigt haben was die Biennale sein kann und sollte, und die mit jeweils ungefähr 30-50 Modellen einen guten Überblick über das Architekturgeschehen im jeweiligen Land gezeigt hatten und wo man Architekten antreffen und mit ihnen über Ihre Arbeiten reden konnte. Meine Kritik wendet sich also mehr gegen die Kuratoren der nationalen Pavillions als gegen die jeweiligen Biennaledirektoren, obwohl ich zum Teil auch bei den Direktoren den kontraproduktiven Trend zur thematischen Verengung wahrnehme, auch bereits vor Rem Koolhaas. Ricky Burdett’s Biennale über Urbanisierungsprozesse war interessant, aber der Funktion der Biennale abträglich. Zu wenige Kollegen hatten die Chance auszustellen. Viele blieben zu Hause. Dejan Sudjic’s Biennale mit der Einengung auf gebaute Architektur hatte viele jüngere Kollegen ausgeschlossen. Auch das war ein Fehler, allerdings weniger schwerwiegend als Ricky’s enge thematische Ausrichtung.

Die denke daß die Architekturbiennale ohne ein übergreifendes Thema besser funktionieren würde, im Sinne der oben anskizzierten Funktion eines globalen Architekturforums für Architekten. Das Thema - falls es ganz ohne nicht geht – sollte architekturfokussiert sein und sich auf die internationale Austellung im Internationalen Pavilion/Arsenale beschränken, und nicht für die nationalen Pavillions gelten. Eine prägnante, architekturbezogene thematische Ausstellung kann sehr wohl die BiennaIe bereichern (aber nicht ersetzten!). Ich war zum Beispiel sehr positive beindruckt von Rem’s “Elements” Austellung im Internationalen Pavilion. Die Austellung hatte eine fantastische Informationsdichte und stimuliert eine grundlegende Reflektion auf die Bedingungen architektonischer Innovation. Die Arsenale Räume wurden dagegen leider an architekturfremde Interessen verschenkt und die durchgängige Durchsetzung des übergreifenden, historisch orientierten Themas in allen Länderpavillions war ein Todesstoß für die eigentliche Funktion der Architekturbiennale. Die völlige Ausblending der Schweizer Architektur und Architekten im (gähnend leeren) Pavilion der Schweiz kann hier als pars pro toto fungieren: Ein Symbol der kuratorzentrischen Verzerrung der Architekturbienale. Das habe ich sehr bedauert, auch wenn ich ein Freund von HUO und ein Fan von Cederic Price bin. Der Deutsche Pavilion war eine noch grössere Verschwendung. Anstatt Einsicht in die deutsche Architekturszene hatten wir eine singuläre (ironische?) Botschaft des Kurators. Hat sich jemand länger als eine halbe Minute dort aufgehalten? Wo waren meine Freunde und Kollegen aus der Schweiz und aus Deutschland? Der Verlust ist (nicht nur) mein Verlust. Eine Gegelenheit mich über die Architekturszenen in Deutschland und der Schweiz auf dem laufenden zu halten wurde mir (und anderen) versagt. Deshalb meine Reaktion als Architekt: Bitte mehr neue Architektur, weniger Themen und Kuratorenideen.

Hollein’s Thema “The Architekt as Seismograph” war zum Glück so vage daß es keine Einengung bedeutet hatte. Das gleiche gilt für Chipperfield’s “Common Ground”. Fuksas’ hochtrabendes Thema “More Ethics, less Aesthetics” wurde  zum Glück rundum ignoriert, nicht zuletzt von Fuksas selbst, und  konnte somit auch keinen Schaden anrichten. Dieser pompöse Titel erscheint allerdings im Rückblick als Vorbote des Trends zur “Political Correctness”, der uns inzwischen überall vereinnahmt und die Architekturbiennale in den Würgegriff nimmt. Je mehr wir zulassen, daß Political Correctness im Architekturdiskurs in den Vordergrund tritt, desto weniger Bedeutung geben wir  unserer Kernkompetenz als Gestalter, d.h. als Raum- und Formgeber gesellschaftlicher Prozesse. Der Architekturdiskurs wird fehlgelenkt, verschleißt sich und wird wirkungslos, wenn er Architektur als Politikersatz missversteht und mit Problemen überfrachted, die außerhalb aller architektonischer Kompetenz liegen. Wir brauchen uns wegen unserer spezifischen Kompetenz nicht schämen. Unser (über unsere Klienten vermittelter) gesellschaftlicher Auftrag ist wichtig und spannend genug, um als eigenständiger Innovationsfokus Aufmerksamkeit, ambitionierte Kreativität und Intelligenz zu mobilisieren, auch wenn wir als Architekten nicht unbedingt zugleich Sozialarbeiter, Politiker, Protestkünstler oder humanitäre Aktivisten sind.

Lezteres scheint aber der Architekturdiskurs der Architekturlehrer, Kritiker und Kuratoren, und insbesondere auch die Architekturbiennale, mehr und mehr von uns zu erwarten.  Humanitärer Aktivismus scheint inzwischen zum alles andere überwältigenden Kriterium für die Auszeichnungen, die die Architekturbienale vergibt, zu avancieren. In 2012 wurde die Dokumentation der vertikalen Slums in einem derelikten Hochhaus in Caracas mit dem Biennalepreis ausgezeichnet, sowie der Japanische Pavilion, aufgrund der Dokumentation des Umgangs mit der Tsunamitragödie. Alle weiteren Anerkennungen waren in ähnlicher Weise “politisch korrekt”. Die Auszeichnung des Koreanischen Pavilion in 2014 – Dokumentation der Grenzsituation zwischen Nord- und Südkorea – war wohl ebenfalls durch das “politisch” ausgerichtete Thema motiviert. Es ist meiner Meinung nach nicht nur verschämt, sondern absolut illusorisch zu glauben, daß die Architektur sich gesellschaftlich aufwerten kann, indem sie auf humanitären Aktivismus und Political Correctness setzt. Sie lenkt damit nur von ihrer eigentlichen Kompetenz und ihrem spezifischen gesellschaftlichen Auftrag ab. Man darf meine Skeptik gegenüber der Überfrachtung (und Überforderung!) des Architekturdiskurses mit politischen Themen nicht als Oberflächlichkeit oder Anti-intellektualismus missverstehen. (Ich denke ich habe mich als Architekturtheoretiker genügend exponiert. Meine Ausführungen zur gesellschaftlichen Funktion der Architektur und zum Verhältnis von Architektur und Politik lassen sich in meinen zwei Bänden zur Autopoiesis der Architektur nachlesen.) Die Gefahr der Oberflächlichkeit besteht vielmehr in den unprofessionellen Kompetenzüberschreitungen, zu denen sich der Architekturdiskurs und die Architekturbiennale mehr und mehr hinreissen lassen. In unserer komplexen, funktional differenzierten Gesellschaft kann nur professionelle, diskursive Kompetenzverteilung zum Erfolg führen.
Die Architekturbiennale sollte in den Länderpavilions die globale Architekturentwicklung manifestieren und die zentrale Austellung sollte jeweils innovative Tendenzen der Gegenwartssarchitektur thematisieren und anhand von Projekten zeigen. Daß diese sehr allgemeingehaltene, eigentlich selbstverständliche Erwartung hier als Forderung explizit gemacht werden muss,  zeigt wie weit die kuratorenzentrische Verzerrung dieses selbstverständlichen Sinns einer Architekturbiennale inzwischen gediehen ist. Deshalb mein dringender Aufruf: Architekten aller Länder vereinigt euch und erobert Euch Eure Architekturbiennale zurück!



back to WRITINGS